Theo Hespers
24. August 2014 – das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit fahre ich zu meinem Vater, um mit ihm zu sprechen. Denn er, inzwischen 83 Jahre alt, wird nicht mehr allzu lange bei uns sein. Das weiß ich damals einfach. Aber seine Geschichten dürfen nicht sterben. Denn er ist Zeitzeuge – „ein wichtiger“ würde er ergänzen, wenn er noch könnte. Er war sich über den Wert seiner Geschichten immer bewusst. Aber nicht allzu viele wollten hören, was er zu sagen hat. Ich auch nicht.
Mein Vater wurde am 21. Februar 1931 als Dietrich Franz Maria Hespers in Mönchengladbach geboren. Im Laufe seines Lebens hat er viele Namen angenommen: Aus Dietrich wurde Dieter, dann Dirk oder auch Drikkes … je nach dem, mit wem ich spreche, muss ich einen anderen Namen für ihn verwenden. Mein Vater ist im niederländischen Exil groß geworden, weil sein Vater – mein Opa Theo – sich öffentlich gegen die Nationalsozialisten gestellt hat. Nachdem die Nazis die Macht in Deutschland an sich gerissen hatte, musste er fliehen. Zu Fuß ging er über die Grenze nach Holland. Er fand eine kleine Unterkunft in einem kleinen Ort in Roermond, Nahe der deutsch-niederländischen Grenze. Aus Dietrich wird Dieter, weil das weniger deutsch klingt. Und so wächst mein Vater zunächst in den Niederlanden auf. Mein Großvater arbeitet weiter im politischen Widerstand – auch wenn ihm das als Flüchtling eigentlich verboten ist. Die Gestapo weiß von seinen Aktivitäten. Aber alle versuche, ihn in die Finger zu bekommen, scheitern. Als die Nazis am 10. Mai 1940 in Holland einmarschieren, muss die Familie wieder fliehen. Der Versuch nach England zu kommen scheitert. Also tauchen sie in Belgien unter. Aus Dieter wird Dirk. Dort wird mein Großvater am 10. Februar 1942 in Antwerpen von der Gestapo verhaftet, kurz vor dem 11. Geburtstag seines Sohnes. Nach Verhören und Folter in Wilhelmshaven und Berlin wird er zum Tode verurteilt. Wegen Hochverrats. Am 9. September 1943 wird Theodor Franz Maria Hespers in der Exekutionsgarage des Gefängnisses Berlin-Plötzensee erhängt. Mein Vater hat lang genug gelebt, um die Geschichte seines Vaters – und auch seine eigene – noch erzählen können. Er stirbt am 31. Januar 2018 im stolzen Alter von 87 Jahren. Heute erzähle ich die Geschichte weiter – in meinem Blog- und Podcast-Projekt „Die Anachronistin“.
Nora Hespers lebt und arbeitet als freie Journalistin und Podcast-Produzentin in Köln